Vorhersagen aus der Zeit der Covid-Pandemie, dass der tägliche Weg zur Arbeit aussterben würde, waren deutlich überschätzt, wie eine Analyse von Verkehrsdaten durch die Financial Times ergab.
Die von vielen Firmen vorgeschriebene Rückkehr ins Büro, die Wiederherstellung des Regelbetriebs öffentlicher Verkehrsmittel und vielleicht auch die Entschlossenheit einiger von der Pandemie geplagter Beschäftigter, zum Business-as-usual zurückzukehren, haben zu einer allmählichen Wiederbelebung des Pendelns geführt, wie Verkehrsdaten jetzt zeigen.
Da gleichzeitig viele Berufstätige nicht mehr verpflichtet sind, täglich an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen, ändert sich aktuell die Art und Weise, wie Menschen zur Arbeit fahren, was Politik und Verkehrsunternehmen vor Herausforderungen stellt und dazu führt, dass Arbeitnehmenden freier über die Wahl ihres Lebensstils und ihrer Mobilität entscheiden können.
Die Financial Times hat jetzt das Reiseverhalten in 10 Großstädten auf der ganzen Welt analysiert und mit Daten der Corona-Pandemie verglichen. Das Ergebnis: In all diesen Städten hat sich das Pendleraufkommen erholt, nachdem flächendeckende Büroschließungen im zweiten und dritten Quartal 2020 zu starken Rückgängen geführt hatten. Die Analyse zeigt jedoch auch, dass das Ausmaß des Rückgangs und der nachfolgenden Erholung sich in Abhängigkeit von den Kosten und der Länge der Strecke, dem verfügbaren Platz zu Hause, der vorherrschenden Unternehmenskultur und den Charakteristiken des Landes unterscheidet.
Die von FT untersuchten Daten basieren auf Nutzerdaten von Google, das die Bewegungen seiner Nutzer:innen in Bahnhöfen und an Arbeitsplätzen regelmäßig in einem Snapshot festhält. Die Mobilitätsdaten wurden für Oktober 2020, 2021 und 2022 analysiert und mit einem Ausgangswert für 2019, dem Jahr vor der Pandemie, verglichen.
Von den 10 untersuchten Städten hat sich der Pendlerverkehr in Mexiko-Stadt am deutlichsten erholt. Den Google-Daten zufolge wurden im Oktober 2022 an allen Wochentagen mehr Bahnhöfe in der Stadt genutzt und mehr Arbeitsplätze aufgesucht als Anfang 2020.
In der britischen Hauptstadt zeigen neuere Daten von Transport for London (TfL) eine anhaltende Erholung, jedoch ist das Pendelverhalten noch weit von den Spitzenwerten vor der Pandemie entfernt. Die Nutzung der Londoner U-Bahn liegt 18 Prozent unter dem Ausgangswert für 2019. Auch in Paris reicht die Métro-Nutzung nicht an das Niveau vor der Pandemie heran. Die neuesten Zahlen des Bürgermeisteramts zeigen, dass im Jahr 2022 1,34 Mrd. Fahrten durchgeführt wurden, zwar fast doppelt so viel wie der Tiefststand von 753 Mio. im Jahr 2020, aber deutlich weniger als der Höchststand von 2018 mit 1,56 Mrd. Fahrten.
Für Berlin zeigen die Daten, dass zwar Menschen wieder in die Büros zurückkehren, aber auch hier hat sich das Pendelverhalten verändert und weniger Berufstätige pendeln zur Arbeit als noch 2019. Besonders auffällig: In Berlin arbeiten viele montags im Homeoffice. Für Arbeitnehmende in der Hauptstadt scheint die Möglichkeit, von zu Hause aus in die Woche zu starten, besonders beliebt zu sein.
Die Mobilitätsdaten zeigen: Der Pendlerverkehr kehrt zwar zurück, aber die Art und Weise, wie die Menschen zur Arbeit fahren, ändert sich. Die Gründe dafür sind verschieden.
Die in den Städten vorherrschende Unternehmenskultur und auch die jeweilige nationale Kultur prägen das Pendlerverhalten. Untersuchungen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zeigen, dass individualistische Länder wie das Vereinigte Königreich oder die USA einen höheren Anteil an Homeoffice aufweisen. Auch eine Studie des deutschen ifo-Instituts hat das gezeigt.
In Städten wie London oder New York liegt dies wohl vor allem auch an den allgemein längeren Pendelwegen und den vergleichsweise hohen Fahrtkosten, was bei Arbeitnehmenden das Bedürfnis hervorhebt, von zu Hause aus zu arbeiten. Im Oktober 2022 lag die Zahl der Arbeitsplätze in der Londoner City laut Google-Daten immer noch um 23 Prozent (am Donnerstag) und 34 bzw. 35 Prozent (am Freitag bzw. Montag) unter den Zahlen von Anfang 2020.
Dass sich die allgemeine Einstellung zum Pendeln verändert hat, äußert sich auch in Umfragen unter Arbeitnehmenden. Zwei Drittel von Arbeitnehmenden weltweit gaben 2022 gegenüber dem Beratungsunternehmen Gartner an, dass der Weg ins Büro "mehr Aufwand erfordert als vor der Pandemie", und 73 Prozent sagten, er sei teurer. Laut einer separaten Umfrage der Boston Consulting Group würden 17 Prozent der Befragten für einen leichteren Arbeitsweg ihren Arbeitsplatz wechseln.
Zahlreiche Untersuchungen, die vor der Pandemie durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass das Pendeln einen großen wirtschaftlichen und psychologischen Schaden verursachen kann. Für Frauen, die in der Regel größere Betreuungsaufgaben haben und dazu neigen, Arbeitsplätze in der Nähe ihres Wohnorts anzunehmen, hat die Zunahme von Hybrid- und Fernarbeit die Möglichkeiten verbessert.
Wenn weniger häufiges Pendeln den psychischen Druck auf den Einzelnen mindert, könnte die Gesellschaft davon profitieren. Eine Verlagerung muss jedoch nicht auf Kosten der Produktivität der Arbeitnehmenden gehen. Studien zeigen bereits, dass Arbeitnehmende 2021 und 2022 durchschnittlich zwei Stunden pro Woche an Zeit sparen, wenn sie nicht pendelten und stattdessen im Homeoffice arbeiten. Eine Studie des US-amerikanischen National Bureau of Economic Research belegt beispielsweise, dass Beschäftigte 43 Prozent der durch das Homeoffice eingesparten Pendelzeit in zusätzliche Arbeit investieren, was wiederum bedeutet, dass das Homeoffice die Produktivität insgesamt steigern kann.
Auch das Wohlbefinden der Beschäftigten kann sich verbessern, wenn die gewonnene Zeit für Freizeitaktivitäten genutzt wird. Viele nutzen diese zusätzliche Zeit beispielsweise für Spaziergänge oder eine Fahrt zum Supermarkt mit dem Fahrrad, wie eine Studie aus den USA zeigt.
Forschende einer Studie der Federal Reserve Bank of San Francisco hatten bereits herausgefunden, dass eine Verlagerung auf Homeoffice die Produktivität von Unternehmen weder erheblich gebremst noch gesteigert hätte, was wiederum bedeutet, dass Beschäftigte im Homeoffice weder produktiver noch unproduktiver sind als am eigentlichen Arbeitsplatz.
Zuletzt haben auch Executives von großen Konzernen zugegeben, dass eine Rückkehr ins Büro die Produktivität nicht unbedingt erhöht.
Es zeigt sich, dass das Bedürfnis, zu pendeln, zwar bleibt, aber gleichzeitig auch die Gewohnheiten, die man sich während der Büroschließungen angeeignet hat.